vergeht
wie ein atemzug, wie wellen, wie das meer. vergeht, hinterlässt, fragt nicht mehr,
ist leicht. vergeht wie anfang und ende, wie laub, wie blütenstaub.
vergeht als ganzes und als teil, vergeht auch in mir, wie traurigkeit.
fragende unruhe, wie suchen, wie vertrauen, wie hoffnungslosigkeit.
vergeht und wird wunder, wie rund es auch ist. bist du beständig, wo du nun bist? geheime flaschenpost im meer, wieder wellen, widerwillen, wieder weite, horizont und tiefe – was bleibt mir noch hier?
inzwischen auch ahnend, nicht wissend, nur fragend. nirgends und nie alt genug für den verlust habe ich dich im herzen behalten. sandspiralen, wortlaut, stimmhaft. finde haarlocken, die farben im inneren, unsere zeit. finde auch trost wie ein bett aus federn. du schläfst unter dem großen baum, wieder kind, auch atem.
ich werde dort bleiben und sagen, mein bruder schläft hier. vergehend auch ich und immer wieder wartend
auf wunder von dir.
Zeit vergeht. Am 12. August 2020 ist mein Bruder nun schon sechs Jahre in der anderen Welt, die mich sanft berührt und umgibt. Die Liebe und Dankbarkeit bleiben, auch wenn sich Orte, Inhalte, Menschen verändern und ich immer wieder neu lerne, dem Kompass im Herzen vertrauen zu können. Am 12. August war ich mit meiner Familie zusammen, wir waren den Bergen nahe, der Sonne, dem Wasser und nachts den Sternen. Das Leben hört nicht auf, schön zu sein, und es sagt: „Weiter, mit allem, was ihr in euch tragt.“ So ist jeder Todestag auch eine Geburt von etwas Neuem – letztendlich dieser tiefen Wahrheit, genau jetzt ganz lebendig zu sein.
Gedanken geteilt von Ida